Donnerstag, November 13, 2008

ausschnittsweise lissabon bei nacht erleben

wer es sich nicht leisten kann, bis fünf uhr morgens durch die gassen und lokale zu ziehen, erlebt nur einen ausschnitt dessen, was die nächte in lissabon angeblich ausmacht.

dennoch gibt die runde vom portas largas durch die von menschenmassen überfüllten und als freiluftlokal genutzten gassen des barrio alto zum bedroom und weiter zum kultlokal lux am tejo einen ersten eindruck von dem, was weit nach mitternacht zu erwarten wäre.

meeresgetier geniessen


die sehnsucht der seefahrer
Originally uploaded by herwig.daemon.
vier tage lang fisch - ausser zum frühstück. die nähe zum meer macht sich auf der reise nach óbidos und lissabon am teller klar bemerkbar.

  • vielleicht die grossartigste möglichkeit, fisch in schlüssiger atmosphäre zu geniessen, eröffnet sich im restaurante rio cortico: auf empfehlung eines hotelmanagers verlassen wir das praia d'el rey resort im taxi. der freundliche fahrer mit dem schnauz kurvt in aller seelenruhe durch menschenleere kiefernwälder, rumpelt über waschbrett-schotterstrassen, nimmt abzweigungen, an denen jede beschilderung fehlt und plötzlich stehen wir in dunkelster nacht vor einer sanddüne. beim aussteigen ist das getöse des atlantik unüberhörbar und nach ein paar schritten durch die finsternis stehen wir als einzige gäste in einem winzigen strandrestaurant. alleine die muscheln in einem sud mit knoblauch und koriander würden fürs wohlbefinden reichen, aber wer wollte sich den verzicht auf einen puristisch zubereiteten steinbarsch vom holzkohlengrill verzeihen?
  • eine völlig andere welt dann in lissabon: im kais an den alten docks nehmen augeu und gaumen eindrücke zwischen operninszenierung, alter fabrikshalle und gourmetrestaurant auf. auch hier dominieren die produkte des meeres in feinster qualität die speisekarte.
  • alle schwärmen vom pap'açorda und jeder scheint das lokal zu kennen. umso glücklicher der umstand, dass die concierge vom dom pedro palace einen tisch ergattern kann. allerdings ist es gar nicht so leicht, den eingang zum restaurant in einer dieser verschmuddelten gassen des bairro alto zu finden. dahinter tut sich ein modern gestaltetes reich der kulinarik auf, mit freundlichen kellnern (überhaupt scheint die stadt von einem permanenten westwind an freundlichkeit verwöhnt zu werden), witzigen zeichnungen in der speisekarte und einem angeblich illustren publikum. als unkundigem gast aus dem fernen ausland ist letzteres ziemlich gleichgültig, das interesse richtet sich viel mehr auf die teller. dort landet - der restaurantbezeichnung entsprechend - eine portion vom brot-knoblauch-koriander-gemisch 'açorda' mit stockfisch, vom kellner mit virtuosität am tisch verrührt. die legendäre riesenschüssel mit dunklem schoko-mousse hält auch an unserem tisch für einen zwischenstopp.

  • im vielfach besprochenen und ausgezeichneten gambrinus besteigt der gast eine zeitkapsel, welche das design und die gebräuche der 60er jahre stilgetreu bewahrt hat. wo sonst als in dieser lissaboner institution werden noch crêpe suzette mit zirkusreifem aufwand coram publico flambiert? aber auch hier richtet sich das hauptaugenmerk eigentlich auf fisch und meeresfrüchte, die von einer halben armada an kellnern serviert werden. das gefühlte betreuungsverhältnis ist vier (kellner) zu eins (gast).

an das ende europas reisen


das ende europas
Originally uploaded by herwig.daemon.
genau in dem moment, als das taxi die kuppe erreicht und sich die strasse schnurgerade richtung atlantik hinunterneigt, meint der fahrgast, etwas von der faszination der portugiesischen seefahrer erahnen zu können. denn irgendwo dort drüben - wir stehen am westlichen ende europas - liegt die neue welt.

auf den neuzeitlichen reisenden warten im praia d'el rey resort alle annehmlichkeiten, grossartige ausblicke und unmengen an versteckmöglichkeiten für golfbälle. die sonnenminuten sind im november ein wenig spärlich, aber der atlantik würde jetzt ohnehin nicht zum baden reizen. umso erfreulicher gestalten sich in dieser weltgegend aber die begegnungen mit jenen zeitgenossen, welche den atlantik ungeachtet der temperaturen bevölkern - bis sie von dort herausgeangelt werden: fische und meeresfrüchte.

senioren mit schwung hören

sie ist jahrgang 1930, bringt einen konzertsaal zum kochen, berührt mit ihrer stimmlichen vielfalt, legt zwischendurch ein altersbedingtes päuschen backstage ein und kehrt mit kubanischen tanzschritten zurück: omara portuondo begeistert beim jazznojazz festival im theaterhaus gessnerallee in zürich. ebenfalls altersbedingt haben wir uns für dieses vergnügen einen kombipass mit sitzplatz auf der tribüne gegönnt, weil wir das mittanzen(!) im parkett wohl nicht mehr länger durchstehen würden. auffällig sind auch die sicheren textkenntnisse der spanischsprachigen zuhörer bei 'besame mucho', die das lied zu einem kräftigen choral anschwellen lassen.

während der pause begeistern wir uns für die atmosphäre und architektur im 'stall 6'. hin und wieder hat die mehr-oder-weniger-grossstadt (wir sprechen von zürich ...) doch auch ihre reize.

nach der pause heizt dr. john ein, immerhin auch schon jahrgang 1940. sein funk reisst das publikum in geänderter besetzung - wie viele nahmen eigentlich das kombiangebot wahr? - voll mit. bei aller fetzigkeit der musik dringen aber auch die politischen töne deutlich durch, etwa rund um die katrina-flutkatastrophe in seiner heimatstadt "n'awlinz". auch wenn der gute mann am stock einherstolziert und die bühne nach einer irrwitzigen zugabe mit 'lay my burden down' am selbigen wieder verlässt, war das kein rentnerschicksal, das man an diesem abend verfolgen durfte.


konsumismuskritik lesen

richtig gelesen und kein tippfehler: 'konsumismus'. so benennt benjamin barber im umfangreichen schmöker 'consumed' jenes aktuell herrschende dogma, welches den puritanischen kapitalismus seiner ansicht nach abgelöst hat und sowohl die demokratie als auch diskurs und reifes denken unterminiert. die kritik an der konsum-allmacht ist auch nachvollziehbar und umfassend. aber der leser bleibt am ende doch insofern enttäuscht zurück, als konkrete vorschläge zur abkehr fehlen (so gesehen stimmt das diktum vom 'kulturpessimismus' des staatspreisträgers). allerdings wurde 'consumed' vor der finanzkrise publiziert. vielleicht erledigt sich jetzt manches von selbst.

sich in einer völkerwanderung bewegen

ist es wirklich bloss das datum - nämlich der nationalfeiertag am 26.10. - welches die vorarlberger traditionellerweise in scharen in die berge pilgern lässt? oder doch eher das hervorragende wetter samt gewaltiger fernsicht. wie auch immer: mit viel glück ist der sitzplatz auf der überfüllten terrasse des alpwegkopfhauses gesichert und die feiertagswurst schmeckt hervorragend. für die tatsache, dass die sonst bekanntermassen leicht grantige hüttenwirtin sich ausgerechnet beim massenansturm von gästen in bisher ungekannte sphären der freundlichkeit aufschwingt, gibt es wohl kaum eine vernünftige erklärung.